Griesheim – das einsame Schlusslicht

Nicht allzu weit von der Frankfurter Innenstadt entfernt, gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden und ein lebhaftes Stadtzentrum – Griesheim sollte eigentlich ein sehr zufriedener Stadtteil sein. Griesheim ist leider weit davon entfernt, zufrieden zu sein, eher das Gegenteil ist der Fall. Die meisten Griesheimer sehen sich als das Frankfurter Schlusslicht, als eine Art Getto, in dem die Menschen aufgehört haben, zu hoffen. Was ist los mit Griesheim? Warum sind die Menschen dort so desillusioniert und was muss sich in dem Stadtteil im Westen von Frankfurt ändern?

Griesheim in Zahlen

Griesheim liegt im Westen von Frankfurt, in der Nachbarschaft zu Bockenheim, Rödelheim, Gallus, Nied, Sossenheim und dem Gutleutviertel.
Einwohner: 23.462
Fläche: 4,90 Quadratkilometer
Stadtteil seit: 1928
Gehört zum Ortsteil: West

Griesheim und seine Geschichte

Wie wichtig Griesheim für den Verkehr und den Handel ist, das wussten bereits die Römer. Sie legten zwei Straßen aus Mainz kommend an, die teilweise heute noch bestehen. Urkundlich erwähnt wird Griesheim erstmals im Jahre 850 unter dem Namen „Groezesheim“. Damals ist es ein kleines unbedeutendes Dorf, in dem Bauern, Handwerker und Fischer leben. Im 17. Jahrhundert kommt das Dorf zu Kurmainz und erst 1845 wird die erste Schule in Griesheim eingerichtet. Nach dem Bau der chemischen Fabrik Griesheim wird der kleine Ort als Industriestandort interessant. Im Jahre 1871 bekommt Griesheim einen Anschluss an die Hessische Ludwigsbahn, 1932 ein eigenes Wasserkraftwerk und kommt schließlich 1928 zu Frankfurt.

Griesheim heute

Wenn es um die meisten Nicht-Wähler in Frankfurt geht, dann steht Griesheim auf dem ersten Platz. In keinem anderen Stadtteil sind so wenig Menschen zur Wahl gegangen wie in Griesheim. 57 Prozent hatten keine Lust, zur Urne zu gehen, oder sie haben schlicht kein Interesse daran. Die Griesheimer sind alles andere als zufrieden mit ihrem Stadtteil. Es gibt einfach zu viele matschige, schlechte Wege und zu viele wilde Müllhalden, die plötzlich über Nacht entstehen. Zu wenig Geld, zu wenig Bildung und zu viele Menschen, die am Rande der Existenz leben – so lassen sich die Probleme, die Griesheim heute hat, vielleicht am besten beschreiben. Die Einwohner des Stadtteils haben keine Lobby und die Politik interessiert sich schon lange nicht mehr für sie. Besonders deutlich wird das Griesheimer Dilemma an den Schulen. Die Stadt kümmert sich offenbar nicht darum und die Bürger sind enttäuscht.

Das Problemviertel

In Frankfurt gibt es ein geflügeltes Wort, über das in Griesheim niemand mehr lachen kann: „Wenn es ein Problem gibt, schieb’s einfach ab nach Griesheim“. Die Probleme sind vielfältig, beispielsweise an den Schulen. Die Schulen sind schmutzig, die Fenster brauchen dringend einen neuen Anstrich, die Spielgeräte auf dem Pausenhof sind kaputt oder wurden abgebaut. In den Schulen riecht es schlecht, deshalb bleiben in der Nacht die Fenster auf, um die schlechte Luft zu vertreiben. Schuld daran ist die Feuchtigkeit in den Wänden. Eigentlich ist eine Grundsanierung notwendig, aber das lehnt die Stadt ab. Aus Sicht der Verantwortlichen im Rathaus ist alles nur halb so schlimm. Fakt ist, dass bei den letzten Kommunalwahlen nur jeder dritte Griesheimer gewählt hat, bei den Bundestagswahlen waren es nur knapp 56 Prozent. Aber wann begannen die Probleme mit dem Stadtteil? Seit wann fühlen sich die Bewohner von der Stadt, der Landes- und der Bundespolitik abgehängt?

Sozialer Brennpunkt seit 30 Jahren

Griesheim ist nicht von heute auf morgen zu einem Problemviertel geworden. Der Prozess kam schleichend und begann in den 1980er Jahren. Seine Blütezeit hatte der Ort im Industriezeitalter. Damals kamen große Unternehmen nach Griesheim, sie bauten Siedlungen für die Arbeiter und im Ortskern konnten die Einwohner einkaufen gehen. Dann neigte sich das goldene Industriezeitalter seinem Ende entgegen und die Wohnungen an der Mainzer Landstraße standen leer. Mit den großen Unternehmen gingen auch die Arbeiter, was kam, waren Familien, die in anderen Stadtteilen keiner haben wollte. Jugendbanden bestimmten plötzlich die Regeln in der Ahorn- und in der Kieferstraße. Die Jugendlichen sorgten für viel Unruhe, sie terrorisierten die Nachbarschaft und liefert sich Kämpfe, bei denen viel Blut floss. Die Zeiten der Banden sind zwar vorbei, das schlechte Image, hat Griesheim jedoch behalten.

Es wird nicht besser

Griesheim hat mit vielen unterschiedlichen Problemen zu kämpfen, dann kam die Flüchtlingskrise 2015 und damit neue Probleme für den Frankfurter Stadtteil. Die Stadt schickte ohne Vorankündigung 80 Menschen nach Griesheim und keiner wusste, wo diese Menschen bleiben sollten. Ein früheres Hotel diente als erste Unterkunft, richtige Wohnungen zu finden, gestaltete sich aber schwer. Dazu kommen die Probleme mit Menschen, die aus anderen Stadtteilen quasi nach Griesheim abgeschoben wurden. Sie konnten die Miete nicht mehr bezahlen oder haben Ärger gemacht, jetzt leben sie in Häusern, die früher Bürogebäude waren. Für den Ortsverband der SPD sind das alles unhaltbare Zustände, aber die einstige Arbeiterpartei findet bei der Bevölkerung nur wenig Akzeptanz.

Nach außen ist alles in Ordnung

Griesheim macht auf den ersten Blick nicht den Eindruck eines Problemviertels. Hier ist nichts verwahrlost, zumindest nicht vor den Kulissen, dahinter sieht es allerdings anders aus. Es sind besonders die Kinder, die leiden. Alleine der Verein „Arche“ unterstützt 200 Kinder und Jugendliche aus Griesheim. Sie können in den Räumen der „Arche“ in Ruhe frühstücken, sie bekommen dort ein warmes Mittagessen, es gibt eine Betreuung bei den Hausarbeiten und die Möglichkeit, einfach nur unbeschwert Kind zu sein. Der Quartiermanager versucht immer wieder, die Menschen, die in Griesheim wohnen, zusammenzubringen, wenn auch nur mit mäßigem Erfolg. Er weiß, was sich die Menschen in Griesheim wünschen. Es sind mehr Geschäfte, mehr Sauberkeit und auch endlich ein Aufzug für die Bahnunterführung. Geplant ist der Aufzug für den Bahnhof schon lange, aber er lässt seit einigen Jahren auf sich warten.

Griesheim kann nichts dafür, das Schlusslicht unter den Frankfurter Stadtteilen zu sein. Zu viele Versprechen hat die Stadt Frankfurt gemacht und kaum eines dieser Versprechen auch gehalten. Die Griesheimer sind berechtigterweise sauer und man kann verstehen, dass sie sich nicht mehr für die Politik interessieren. In einer Fernsehsendung, die vor der Wahl 2017 ausgestrahlt wurde, hat eine Einwohnerin aus Griesheim die Bundeskanzlerin gefragt, ob es nicht besser wäre, die Probleme beim Namen zu nennen. Sie haben keine Lust mehr, deswegen in der rechten Ecke zu landen. Angela Merkel stimmte ihr zu.

FOTOCREDIT

Griesheim von der Staustufe: Gerold Rosenberg (talk) 23:01, 4 January 2017 (UTC), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons